Sonntag, 3. März 2013

René Freund: Liebe unter Fischen

Gruppensex, Jodeln und scheußliche Haikus

René Freund versöhnt in einer launigen Liebesgeschichte Stadt und Land

Fisch an sich gilt nicht als Aphrodisiakum, im Gegenteil, der Gedanke an ihn dient eher der Entschleunigung. Das Hinauszögern wiederum nützt auch der literarischen Liebesbewältigung. So müssen die vier Protagonisten von "Liebe unter Fischen" das übliche Wirrwarr hinter sich bringen, bevor sie einander an der Angel und in der Mangel haben. Ein Zusatznutzen der Fische: Sie lassen sich metaphorisch anreichern. In diesem Sinn führt die Fischforscherin Mara den auf Spezialsommerfrische weilenden Lyriker Alfred Firneis in das verwunderliche Paarungsverhalten der Elritze ein. Der muntere Phoxinus phoxinus (was passend mit "spitz" zu übersetzen ist) kann nur im Rudel; sind zu wenige Geschlechtspartner im Teich, kommt er nicht in Stimmung. Dafür lässt er sich gut konditionieren. Firneis zieht dabei eine Analogie zur digitalen Schwarmdemenz des Menschen, erkennt aber nicht, dass er selbst gerade von seinem Love-Interest behavioristisch konditioniert wird.
Deuticke wirbt emsig für René Freunds "Liebe unter Fischen", nicht von ungefähr mit dem Verweis auf den Smash-Hit "Gut gegen Nordwind". Der leichtfüßige Witz ohne Anspruch auf literarische Avantgarde, die flott-ironische Erzählweise machen auch diesen Text über weite Strecken unterhaltsam und mehrheitstauglich.
Zum Plot: Firneis hat mit Lyrik – jetzt wird's kurz bizarr! – mehr als 150.000 Bücher verkauft. Jetzt ist er ausgebrannt und ekelt sich vor dem Literaturbetrieb. Also müllt er seine Berliner Wohnung zu, missbraucht legale Drogen und stilisiert sich zum Digitalisierungsverlierer. Das klingt nach Klischee und wird auch so gekennzeichnet. Das Heilsgeschehen beginnt mit dem Auftritt der Verlegerin, die sich durch ihren wirtschaftlichen Optimismus in eine Malaise gebracht hat. Ihre Cashcow Firneis soll den Verlag retten und muss davor selbst gerettet werden. Er lässt sich überreden, in einer Seehütte an der verregneten Alpennordseite in Klausur zu gehen. Im Elbtal wird er, der selbst Österreicher ist, wie ein Fremder empfangen, sehr bald dann doch mit knorriger Herzlichkeit aufgenommen. Die Zimmerlinde Firneis findet in der Figur des urwüchsigen Jungförsters August einen Gegenspieler, der Marihuana anbaut und nicht ganz auf der Nudelsuppe dahergeschwommen ist.
Firneis' Menschwerdung geht schnell vonstatten, er entdeckt die kathartischen Freuden des Selberputzens, geht mit August in die Berge und erlernt das textlose Singen. Das alles teilt er der Verlegerin mit wachsender Euphorie mit. "Sex muss schon sehr gut sein, um mit Jodeln mithalten zu können." Bevor der Briefwechsel zu einem analogen "Gut gegen Nordwind" ausarten kann, taucht Mara in seinem See auf, die Limnologin ("Limbologin?") mit slowakischem Akzent.
Die Liebe in ironischen Zeiten ist naturgemäß kompliziert und von Neurosen überwuchert, bei ihrer Schilderung drohen Pathos und Banalität. Freund löst die Aufgabe schlau durch Selbstreferenz (schreiben über das Schreiben) und indem er die Verlegerin über Firneis' literarische Entgleisungen zetern lässt: Als er etwa einen Haiku schickt ("Ein Wasserspiegel./Tropfenspiele./Regen, Regen fällt.") und der Leser sich schon windet, wird sie streng: "Bitte schicken Sie mir keine Haikus mehr. Bitte schreiben Sie keine Haikus mehr. Ich hasse Haikus." Und: "Bitte schreiben Sie auch keine Jodler. Ich kann nicht einschätzen, wie der internationale Markt darauf reagieren würde."
Freund bedient sich des beliebten Topos Stadt vs. Provinz, dabei gibt er es nicht zu billig; Jodelverklärung und Hipster-Landliebe halten sich in Grenzen. Man könnte an Vea Kaisers neuen Heimatroman "Blasmusikpop" denken, muss aber nicht. Freund geht es entspannter und weniger fabulierlustig an. Mit Leichtigkeit erzählt, selbstironisch und ohne große Spielereien. Da dürfte für jeden etwas dabei sein. Der Verlag ist zwar auf eine Rettung nicht angewiesen, das Bestseller-Konzept könnte aber aufgehen.


René Freund: Liebe unter Fischen. Deuticke, 208 S., € 17,90