Die heikle Balance zwischen Urlaub und Tragik
Die
österreichische Herbstliteratur erzählt heuer viel von kroatischen
Inseln. Bei Margit Schreiner kann von Urlaubslektüre eher keine Rede
sein. Ihr Roman basiert auf einer Kurzgeschichte aus dem Jahr 2013,
diese wiederum auf einer wahren Begebenheit: Ein befreundetes
Ehepaar, das nach Israel ausgewandert war, wird vom eigenen Sohn
ermordet, bevor ihn die Polizei erschießt. Die Erzählerin in “Das
menschliche Gleichgewicht” ist eine sechzigjährige
Schriftstellerin, halbwegs junggeblieben, aber desillusioniert, was
die Zukunft ihrer Karriere angeht. Sie ist auf dem Sprung in den
Urlaub, den sie mit dem frisch pensionierten Partner und Freunden auf
einer einsamen Insel verbringt. Ihre Hoffnung, zum Schreiben zu
kommen, zerschlägt sich, als unerwartet die zwanzigjährige Sarah
vor der Tür steht. Eltern und Halbbruder sind tot, vor sieben
Monaten hat sich auch ihr Bruder umgebracht. "So einen Menschen
schickt man nicht weg". Es kommen also Psychopharmaka ins Gepäck
und Sarah mit auf die Insel. Von da an wechselt sich der geradlinige
Bericht der Erzählerin mit Auszügen aus Sarahs "Krankentagebuch"
ab, das sie in der Jugendpsychiatrie geschrieben hat. Urlaubsfreuden
und Traumata: Schreiner zeigt, wie wenig Alltag und Ungeheuerlichkeit
trennt.
Seit
je her ist ihr Schreiben durch die eigene Biographie bestimmt: "Es
hat Zeiten gegeben, da habe ich alle Schriftsteller beneidet, die
ihre Existenz hinter Erfundenem verbergen konnten." Im Lauf der
Zeit hat sie aber die Fiktionalität der eigenen Existenz erkannt.
Erinnerungen sind trügerisch (und das ist gut so), die Biographie
eine selbstgetextete Erfindung. Die Tragödie ist so echt wie der
Aufenthalt auf der Insel.
Deutlich
ist ihr Wille, die Wirklichkeit sprachlich nicht zu entschärfen,
also stilistisch trocken zu bleiben. Dabei legt Schreiner ihre
Spätsommergeschichte nicht unidyllisch an, die beiden Familien sind
einander innig zugetan, man trinkt, lacht, es springt auch der eine
oder andere Delfin aus dem Meer. Sie lässt sich sogar zu
(gelungenen!) Landschaftsschilderungen hinreißen. Zentrale Einsicht
der Erzählerin: "Kein Roman ist es wert, dachte ich beim
zweiten Glas Weißwein, ihm etwas Lebendiges zu opfern." Der
Roman ist aber definitiv die Zeit wert, die man seiner Lektüre
opfert.
Margit
Schreiner: Das menschliche Gleichgewicht. Schöffling, 240 S., 20,60
Euro
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