Irgendwo im Umland von
Stuttgart, irgendwann in den 1980ern: Goethe habe Werther doch nur in
den Selbstmord geschrieben, „damit das Ende gut knallt“,
verkündet Gymnasiast und Erzähler Höppner im Deutschunterricht.
Ohne zu wissen, dass unmittelbar zuvor sein Freund Frieder einen
Suizidversuch unternommen hat.
In die elterliche Obhut
soll er nach seiner Therapie nicht mehr, also zieht er in das alte
Bauernhaus seiner toten Großeltern. Das die argwöhnischen, im
Englischen nicht sattelfesten Nachbarn „Auerhaus“ nennen, weil
dort den ganzen Tag „Our House“ läuft. Innerhalb kurzer Zeit
wächst die WG um die promiske Vera, die verwöhnte Cäcilia, die
Brandstifterin Pauline und – nach einem unglücklichen Outing in
der Familie – den schwulen Lehrling Harry an. So wie ein
Weltfußballer auf engstem Raum zaubert, gelingt es den WG-Bewohnern,
in der biederen Umgebung Anarchie mit Geborgenheit zu verbinden.
Zumindest für eine Weile. „Wir lebten ein richtiges Leben mit
Aufstehen und Frühstückmachen und Federballspielen, mit
Essenbesorgen und zusammen kochen.“ Trotz seiner Instabilität ist
Frieder das Zentrum der „randständigen Jugendlichen“, wie sie
ein Anwalt später nennen wird. Denn ja, es gibt großen Ärger, und
das nicht wegen des wissenschaftlich optimierten Ladendiebstahls,
durch den sich die WG ernährt.
Glänzende Träume und
hässliche Arbeit in der Hühnerfabrik, Angst vor der Bundeswehr,
gefällte Christbäume und dazu sinnloser Lehrstoff. „Alles dabei,
was wir später brauchen würden: Blutkreislauf, Rechtsstaat,
Bruttosozialprodukt.“ Lakonisch und gefühlsgenau erzählt Bjerg
von seinen Themen, in einer Sprache, die sich Jugendlichen nie
anbiedert. Wie jeder gute Kabarettist hat er ein feines Gespür für
die Brücke zwischen Tragik und Komik. Seine 17-Jährigen stattet er
mit einer gelassenen Melancholie aus, die den eingangs erwähnten
Werther beschämt hätte. „Es war echt erstaunlich, wie kindisch
die Erwachsenen zu Goethes Zeiten waren.“
Den Vergleich mit
Herrndorfs „Tschick“ soll man nicht allzu stark bemühen, aber
gemein ist den beiden Büchern, dass sie man sie Jugendlichen und
Seniorinnen gleichermaßen empfehlen möchte, und zwar wärmstens.
Bov Bjerg: Auerhaus.
Roman. Blumenbar, 240 S., 18,50 Euro
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